Das NATO-Strategie-Papier 2009
Die eingesetzte Expertengruppe legte unter der Leitung der ehemaligen US-Außenministerin M. Albright im Mai ihre Empfehlungen für die neue NATO- Strategie unter dem Titel „NATO 2020“ vor. „Die Allianz muss in dieser Zeit der Unberechenbarkeit des 21. Jahrhunderts wendig und flexibel sein“, sagte Madeleine Albright bei der Vorstellung des Berichtes. Seitdem wird dieser in der NATO und darüber hinaus – durchaus kontrovers – diskutiert.
Was zuerst auffällt:
Das Wort Abrüstung taucht in dem Papier nicht auf, selbst das weit unverfänglichere Wort der „Rüstungskontrolle“ ist nur ein einziges Mal im Text versteckt.
Die Botschaft der Empfehlungen ist eindeutig:
- Die NATO hält an Atomwaffen als absolute Notwendigkeit für die Abschreckungspolitik fest. Atomwaffen sollen in Europa weiterhin stationiert und modernisiert werden und zwar sowohl die britischen Tridents als auch die amerikanischen taktischen Nuklearwaffen. Allen Plänen für einen Abzug der Atomwaffen aus Europa und der Aufgabe der nuklearen Teilhabe wird eine Absage erteilt.
- Kernstück der neuen Doktrin ist die Übernahme der US-Pläne für eine eigene Raketenabwehr als zentrales NATO-Projekt. Ein Raketenschirm soll Europa schützen. Nur so könne – laut Albright – das Konzept der nationalen Abschreckung realisiert werden.
- Der Krieg in Afghanistan wird als die aktuell zentrale Herausforderung für die NATO gesehen und soll unter verstärktem Einsatz zivil-militärischer Vernetzung bis zum Sieg fortgesetzt werden.
- Alle Mitgliedstaaten werden aufgefordert, ihre Verteidigungsanstrengungen zu intensivieren und zu effektiver zu gestalten. Die „Sicherheit der Welt“ dürfe nicht durch mangelnde finanzielle Ressourcen gefährdet werden.
- Die NATO will sich zwar per Doktrin nicht als Weltpolizei verstehen, wohl aber als Interventionskraft, wenn die „Interessen“ ihrer Staaten gefährdet werden. Dazu zählt ausdrücklich auch die Sicherung „ihrer natürlichen Ressourcen“ und der Handelswege.
- Eine weitere Ausweitung gen Osten wird – wenn auch vorsichtiger als in vergangenen Dokumenten – als Ziel formuliert. Dazu gehören auch neue partnerschaftliche Allianzen mit den ehemaligen südlichen Republiken der Sowjetunion, sowie Indonesien und Malaysia aber auch Australien und Neuseeland. Japan soll neu in eine Zusammenarbeit integriert werden. Bei Betonung des regionalen Charakters der NATO wird ihre weltweite Interventionsfähigkeit und Ausbreitungsstrategie festgeschrieben
- EU- Europa wird als Partner und als zweites Bein der NATO, mit dem ein „burden sharing“, eine Lasten- und Aufgabenaufteilung, vorgenommen werden soll, in dem Expertenpapier benannt. Dies bedeutet eine deutliche Aufwertung der durch den Lissabon Vertrag festgeschriebenen militaristischen Politik der EU.
- Hervorgehoben wird in dem Expertenpapier die Verstärkung der elektronischen Kriegsführung und das sowohl im eigenen Handlungs- und Ausbildungsbereich als auch als Reaktionsmöglichleiten auf Angriffe auf Computer, Kommunikations- und Energienetzwerke.
- Auch die „neue Rolle“ der NATO, die sich u.a. im Kampf gegen die Klimaerwärmung und anderen globalen Herausforderungen manifestieren soll, wird in dem Papier betont. Die Instrumente für die Lösung dieser Probleme bleiben vage, aber vollständig im militaristischen Duktus der NATO: die Sicherheit muss gewährleistet werden.
- All diese Herausforderungen werden eingeordnet in den „Kampf gegen den Terrorismus“. Dieser wird u.a. zur scheinbaren Legitimierung der weltweiten Interventionseinsätze der NATO benutzt.
Wenn ein (erstes) Fazit dieses Dokumentes gezogen werden soll, dann kann es nur folgendes sein: Militarismus pur, Fortsetzung der Kriege vor allem in Afghanistan und weitere nukleare Aufrüstung. Die Worte sind vorsichtiger und vager, aber die Realität ist brutal und kriegerisch. Ansätze für mehr politische Kooperationen z.B. mit Russland, werden durch aggressive Aufrüstungspolitik (u.a. bei der Raketenabwehr) konterkariert.
Die Kritik der Friedensbewegung, wie wir sie im Zusammenhang mit dem 60. Geburtstag der NATO formuliert haben, ist weiterhin notwendig und richtig: NATO ist ein Dinosaurier, der abgeschafft gehört. Frieden und Abrüstung und NATO sind unvereinbar.