Raketen auf Russland?
Luftwaffenstützpunkt Kalkar/Uedem fungiert als Drehscheibe militärischer Eskalation
Von Bernhard Trautvetter
30.7.2016
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) schließt auch den Einsatz von militärischer Gewalt gegen Russland nicht aus. Im Interview mit dem Stern errichtete die Ministerin am Donnerstag eine nukleare Drohkulisse: »Niemand sollte sich einen Vorteil davon versprechen, das stärkste Verteidigungsbündnis der Welt anzugreifen«, antwortete von der Leyen auf die Frage des Interviewers, ob es sie nicht störe, dass die in die NATO aufgenommenen baltischen Staaten »nicht mit konventionellen Waffen« verteidigt werden könnten. Dieser Behauptung widerspricht von der Leyen nicht. Ohne »konventionelle Waffen« bleiben nur die nuklearen Arsenale übrig. Was als »Angriff« gewertet werden kann, ist, wie immer, politische Interpretationssache.
Es passt ins Bild, dass nicht nur das Heer der Bundeswehr als sogenannte Speerspitze der NATO auf ehemaligem sowjetischem Territorium »rotierend« stationiert wird (jW berichtete). Auch die Luftwaffe mischt mit – von einem estnischen Luftstützpunkt und vom Niederrhein aus.
Die Webseite der Luftwaffe berichtete am dem 21. Juli, dass die Bundeswehr ab September dieses Jahres »einen wichtigen Beitrag im Rahmen des ›Readiness Action Plan‹ der NATO, der 2014 im walisischen Newport durch die 28 Mitgliedsstaaten der NATO beschlossen wurde«, leisten werde. Der Plan beinhaltet die weitgehende Umorientierung der NATO-Militär-Strategie. Was das konkret heißt, liest man im Haushaltsplan der Bundeswehr, den von der Leyen Anfang dieses Jahres als »Wendepunkt« bezeichnet hat. Die Stärkung der »Verteidigungsfähigkeit« umfasst aber auch die militärische Sicherung der Lufthoheit – bis hin zum Einsatz von Waffen. Der Militärpakt nennt das »Air Policing«. Die Luftwaffe wird dafür den estnischen Luftwaffenstützpunkt Ämari in der Nähe der russischen Grenze nutzen, der für zirka 100 Millionen Euro modernisiert und ausgebaut wurde.
Die Luftwaffen-Webseite konkretisiert den Auftrag folgendermaßen: »Bereits zum achten Mal unterstützt die Luftwaffe beim ›Air Policing‹ im Baltikum auf dem Stützpunkt Ämari. Es ist das dritte Mal, dass der NATO zur Unterstützung der Bündnispartner Jagdflugzeuge zum ›Verstärktes Air Policing Baltikum‹ bereitgestellt werden. Das bedeutet, dass die deutschen Jagdflugzeuge nicht nur Präsenz zeigen, sondern auch je nach Bedrohungslage bewaffnet reagieren können.«
Es geht hier, ganz konkret, um militärische Spannungen mit der Atommacht Russland – dem Staat, dem die NATO Expansionsdrang vorwirft, obwohl sie ihm selbst unmittelbar die Grenze rückt. Die Führung des »Air Policing«-Vorhabens für die Monate bis Januar 2017 »übernimmt der NATO-Führungsgefechtsstand, das ›Combined Air Operations Centre Uedem‹ (CAOC Uedem), am Luftwaffenstandort Kalkar/Uedem«.
Die Luftwaffe präzisiert ihren Auftrag auf ihrer Webseite: »Erfahren, aber niemals mit Routine, begegnen die Besatzungen ihrer primären Herausforderung im dortigen Luftraum: der Sichtidentifizierung von unbekannten, zumeist russischen Militärflugzeugen. (…) Dank des Einsatzes der Alarmrotten in Litauen und Estland kann diese Gefahr weitestgehend minimiert werden.« Vom Stützpunkt Kalkar/Uedem erfolgt »insbesondere die logistische und organisatorische Koordination, aber auch die Entscheidung zu einem – wenn auch sehr unwahrscheinlichen – Waffeneinsatz«, so die Luftwaffe. »Unwahrscheinlich« heißt vor allem: nicht ausgeschlossen.
https://www.jungewelt.de/2016/07-30/016.php