NATO Protestaktionen in Warschau – Auswertung
Sechs Polnische Organisationen aus der Friedens- und sozialen Bewegung sowie das internationale Netzwerk No to War – No to NATO veranstalteten am Wochenende vom 8. bis 10.7. in Warschau den NATO Gegengipfel „No to War – No to Militarism – Yes to Refugees“ und die Demonstration „Money for the Hungry not for Tanks“. Ziel der Veranstaltungen war die weitere Delegitimierung des größten Militärbündnisses der Welt, das weltweit permanent in Kriege verwickelt ist. Das internationale Netzwerk veranstaltete mit Partnern seit 2009 zu jedem NATO-Gipfel Protestaktionen und inhaltliche Diskussionen.
Nach mehreren Monaten der Vorbereitungszeit, dem Vertraut werden mit dem schwierigen Stand sozialer Bewegungen und im speziellen des Einsetzens für den Frieden in Opposition zur NATO, war die Größe der Aktionen positiv überraschend. Es diskutierten auf dem Gegengipfel mehr als 150 Personen aus 18 Ländern, unter anderem aus Russland, den USA, Tschechien, Polen, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Belgien und Spanien über die aktuellen Kriege und Konflikte, über die Gestaltung des Friedens, soziale Gerechtigkeit und gemeinsame Sicherheit in Europa. An der Demonstration nahmen über 300 Personen teil. In Anbetracht der Repressionen Polens gegen „Russlandversteher“ und NATO-Gegner und der allgemeinen positiven Stimmung gegenüber der NATO und Aufrüstung war auch die Demonstration erfolgreich. Die Nervosität der Polizei zeigte sich auch dadurch, dass die Polizei im Vorfeld die Teilnahme von jungen Anarchist_innen, die sich mit Brot „bewaffnet“ hatten, verhindern wollten. Die Demonstration konnte erst mit einiger Verspätung Richtung Weichselufer starten.
Die Konferenzteilnehmer_innen einte die Forderung nach Auflösung der NATO. Besorgnis riefen die aktuellen Gefahren des erstarkenden Militarismus und die verstärkte Militarisierung im Osten Europas hervor, besonders durch die zwar rotierende aber permanente Truppenpräsenz, die aggressiven Manöver und den sogenannten Raketenabwehrschirm der NATO. Szenarien bis hin zu einem „großen Krieg in Europa“ sind nicht mehr auszuschließen, resümierten viele Konferenzteilnehmer_nnen. Die Teilnehmenden waren sich einig, die internationale Friedensbewegung steht vor den größten Herausforderungen der letzten Jahre. Die von der NATO herbeigeführte Konfrontation mit Russland, die globalen Rüstungsvorhaben wie der sogenannte Raketenabwehrschirm und die Modernisierung der Atomwaffen müssen beendet werden, damit ein Prozess der Kooperation in Europa wieder eine Chance bekommt. Die Dislozierung von NATO-Militärstrukturen an die Westgrenze Russlands sowie die russischen Gegenreaktion birgt die Gefahr eines bewusst oder versehentlich angezettelten Krieges. Ein gemeinsames, kooperatives Sicherheitssystem welches sich an den Bedürfnissen der Menschen ausrichtet ist die Alternative. Auf der Abschlussveranstaltung des Gegengipfels wurde die Stärkung der OSZE und die Neuauflage des Helsinki-Prozesses gefordert sowie die Stärkung und Demokratisierung der UN. Nur durch Kooperationen zwischen Gesellschaften ist eine friedliche Entwicklung möglich.
Die Demonstration gegen die NATO fand unter dem Motto “Money for the hungry not for tanks – No to War and NATO Bases – Moscow Has Already Been, We Do Not Want Washington – Yes to Refugees and international solidarity” statt. Mehr als 300 Demonstrierende zogen bunt und friedlich in Begleitung eines großen Polizeikontingents vom Platz Charles de Gaulle an der US-Botschaft vorbei zum linken Weichselufer in die Sichtweite des Nationalstadiums, Ort des NATO-Gipfels. Ann Wright, pensionierte Cornel der US-Armee, forderte die US-Regierung auf, abzurüsten und sich aktiv für Frieden mit Russland einzusetzen. Die Zwischenkundgebung vor der US-Botschaft war ein Höhepunkt des Protestwochenendes.
Am Sonntag diskutierten die Teilnehmenden des Gegengipfels über Vernetzung und zukünftige Aktionen der Friedensbewegung. Im Mittelpunkt stand bessere internationale Vernetzung und Austausch. Das Protestwochenende in Warschau war ein positives Beispiel für beides, gerade der Austausch mit Menschen aus Zentral- und Osteuropa ist in Anbetracht der Ausweitung von NATO-Militärstützpunkten nach Osten wichtig. Die Veranstalter beschlossen in einem Polnisch-Deutschen Friedensnetzwerk ihre positive Zusammenarbeit fortzusetzen. Gemeinsame Protestaktivitäten zu den Basen des sogenannten Raketenabwehrschirms sind angedacht. In Polen wird gerade eine Militärbasis für „Aegis Ashore“ in Redzikowo gebaut.
Manche deutsche Medien schrieben nach dem Gipfel die NATO lasse ihre Muskeln spielen. In der Warschauer Innenstadt konnte man wieder einmal beobachten wie sich dies konkret ausgestaltet. Über 10.000 Polizist_innen und Sicherheitskräfte verwandelten die Stadt in eine Hochsicherheitszone. Stundenlang gesperrte Hauptverkehrsstraßen ließen die Stadt erlahmen. Wer schlau war und es sich leisten konnte, verbrachte das Wochenende woanders. Teilweise wirkte die Stadt im Ausnahmezustand, wie ausgestorben. Auch die enge Verbundenheit mit dem Militärisch-Industriellen-Komplex konnte beobachtet werden: die Rüstungsfirma Raytheon warb großflächig für ihre „Layered Missile Defense – Partnership for Protection“.
Die Bekanntgabe des Austragungsortes des nächsten NATO-Gipfels in Brüssel wurde positiv aufgenommen. In Belgien und Brüssel gibt es gewachsen und gut vernetzte Friedensorganisationen und eine starke Friedensbewegung. Größere Proteste scheinen möglich, die Vorbereitungen haben bereits begonnen.
Videos, Fotos, Presseberichte der Aktivitäten werden auf www.no-to-nato.org gesammelt und zur Verfügung gestellt.
Kristine Karch, Lucas Wirl, Ko-Vorsitzende des internationalen Netzwerkes No to War – No to NATO
Reiner Braun, Mitglied des internationalen Koordinierungsausschusses (ICC) von No to War – No to NATO
Berlin, 14.7.2016