Gedenkrede zum Hiroshimatag in Berlin – von Lucas Wirl
Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin, Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir haben uns – 72 Jahre nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki – an der Weltfriedensglocke im Volkspark Friedrichshain versammelt, um den ersten Opfern des nuklearen Zeitalters zu gedenken.
Heute vor 72 Jahren, am 6. August 1945 um 8:15 wurde die drei Meter lange und vier Tonnen schwere Uranbombe „Little Boy“ aus einem Flugzeug der US Air Force fallen gelassen. Um 8:16 explodierte die Atombombe in etwa 600 Metern Höhe über der Innenstadt von Hiroshima. Innerhalb einer Sekunde hatte die Detonationswelle 80 Prozent der Innenstadt komplett zerstört und ihre thermische Strahlung bis in zehn Kilometern Entfernung Feuer entzündet. Bis zu 90.000 Menschen starben sofort. In Nagasaki wurde am 9. August eine Atombombe von fast doppelt so großer Sprengkraft gezündet. Auch hier kamen ähnlich viele Menschen ums Leben wie in Hiroshima. Die Atombombenabwürfe forderten nach Schätzungen 1946 75.000 und 1950 140.000 Menschen das Leben. Noch heute wirken sich diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf die Nachfahren der Überlebenden der Atombombenabwürfe aus. Die dritte und vierte Generation von Hibakushas leidet an den Krankheitsbildern. Missbildungen, Brust-, Schilddrüsen-, Lungen- und Blutkrebs; Leber- und Herzkrankheiten. Müdigkeit, Schwindel, Depression – in Japan als “Genbaku Bura-Bura“, die langwierige Krankheit des Atombombenabwurfs.
Wir gedenken jedoch nicht einzig den Opfern der beiden Atomwaffeneinsätzen, sondern auch den Opfern der über 2000 weltweit durchgeführten Atomwaffentests. Wir gedenken den mehreren hunderttausend Menschen die an den Folgen von Atomwaffentests verstarben und an die Überlebenden – die wie die Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki – durch die Spätfolgen gezeichnet sind. Die Bewohner der Republik der Marshall-Inseln und Semipalatinsk seien hier nur beispielhaft genannt.
Ich möchte nicht mit Aufzählungen von Leiden, Tod, Verderben und Zerstörung fortfahren. Die Geschichten der Atombombenabwürfe, der Opfer und der Überlebenden ist wohl dokumentiert und ein integraler, aber auch ein nicht ausreichend genug behandelter und gewürdigter Bestandteil des Gedächtnisses unserer Weltgesellschaft. Schulen und andere Bildungsträger müssten viel mehr in die Aufklärung und Wissensvermittlung der Folgen der Atombombenabwürfe investieren. Dann wären Atomwaffen vielleicht schon unwiderruflich vernichtet. Leider vermitteln viele Schulbücher immer noch Mythen, die Atombomben hätten den Krieg beendet oder Atomwaffen würden den Frieden sichern.
Zuletzt möchte ich an die Opfer der Atomkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima erinnern. Die Legende der friedlichen Nutzung der Atomkraft, die durch das „Atoms for Peace“-Programm der UNO gefördert wurde, ist unmittelbar an die Schrecken von Hiroshima und Nagasaki geknüpft. Sie wurde nachdem die Hölle auf Erden gebracht wurde als Himmel beworben. Aber wir wissen: Atomkraft und Atomwaffen sind zwei Seiten einer Medaille die beide auf den Scheiterhaufen der Geschichte gehören. Und dafür treten wir weiterhin ein.
Ich kann heute aber auch eine Geschichte von Hoffnung erzählen.
Denn auch im Widerstand gegen Atomwaffen gibt es diese Geschichten. Und diese brauchen wir so dringend. Wie z.B. die Geschichte von Sadako Sasaki, dem kleinen Mädchen dass den Atombombenabwurf auf Hiroshima überlebte und von ihrer besten Freundin die alte japanische Legende erzählt bekam, nach der derjenige, der 1.000 Origami-Kraniche falte, von den Göttern einen Wunsch erfüllt bekäme. Trotz über 1000 gefalteten Kranichen verstarb Sadako an Leukämie. Aber die Origami-Kraniche wurden ein Symbol der internationalen Friedensbewegung und Ausdruck des Widerstands gegen Atomwaffen, Sodako Sasaki zu einem Symbol des niemals Aufsteckens und des Weitermachens.
In den Jahren 2013 und 2014 fanden– initiiert von den Nicht-Atomwaffenstaaten Norwegen, Mexiko und Österreich – drei Konferenzen zu den „humanitären Auswirkungen von Kernwaffen“ statt. Diese verliehen dem Diskurs um Atomwaffen eine neue Dynamik und mündeten in den „Vienna Pledge“, dem sich mehr als 120 Staaten angeschlossen haben. Hierin werden die NPT- Mitgliedsstaaten aufgefordert, ihre Verpflichtungen nach Art. VI NPT endlich zu erfüllen. In 2012 und erneut in 2015 wurde von der UN Generalversammlung eine „Open Ended Working Group“ zur nuklearen Abrüstung eingesetzt, um multilaterale Abrüstungsverhandlungen mit dem Ziel einer Welt ohne Atomwaffen voranzubringen. Das Gremium bestehend aus UN-Mitgliedsstaaten und Zivilgesellschaft empfahl im August 2016 die Aufnahme von Verhandlungen über einen Kernwaffenverbotsvertrag im Jahre 2017. Am 27. Oktober 2016 stimmte der für Abrüstung und Fragen der internationalen Sicherheit zuständige 1. Hauptausschuss der UN-Generalversammlung für einen Beginn von Verhandlungen über ein völkerrechtlich verbindliches vertragliches Atomwaffenverbot mit dem Endziel ihrer vollständigen Abschaffung. Am Morgen des 24. Dezember 2016 mitteleuropäischer Zeit beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen, dass ab dem 27. März 2017 am Sitz der UN in New York offiziell über ein solches vertragliches Atomwaffenverbot verhandelt werden soll. Zwischenzeitlich ist bekannt geworden, dass die US-Regierung unter Präsident Obama durch ein Schreiben ihrer Ständigen Vertretung bei der NATO in Brüssel vom 17. Oktober 2016 die Regierungen aller NATO-Staaten eindringlich davor gewarnt hat, bei der Abstimmung in der UN-Generalversammlung der Resolution zuzustimmen oder sich auch nur zu enthalten; des Weiteren hat sie gefordert, im Falle einer Annahme der UN-Resolution keinesfalls an den künftigen Verhandlungen über einen Atomwaffen-Verbotsvertrag teilzunehmen. Anderenfalls sei die NATO-Nuklearpolitik in Gefahr, delegitimiert zu werden. Die Atomwaffenstaaten und ihre Verbündete – unter ihnen Deutschland stimmten am Weihnachtsmorgen gegen die Resolution.
Die Verhandlungen über ein völkerrechtlich verbindliches vertragliches Atomwaffenverbot mit dem Endziel ihrer vollständigen Abschaffung wurden am 7. Juli 2017 in New York mit dem Beschluss eines Vertragstextes erfolgreich beendet. Der Atomwaffenverbotsvertrag wurde mit 122 Ja-Stimmen, 1 Enthaltung (Singapur) und 1 Nein-Stimme (Niederlande) angenommen. Dies ist ein historisches Ereignis. Der Vertrag ist der erste Atomwaffenabschaffungsvertrag. Er verbietet umfassend Atomwaffen, deren Besitz, Entwicklung, Produktion, Test, Erwerb, Lagerung, Transport, Stationierung und Einsatz sowie die Drohung des Einsatzes von Atomwaffen. Der Vertrag entstand aus einem Zusammenspiel von Zivilgesellschaft sowie der großen Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft. Es ist ein Vertrag der die demokratischen Strukturen der UN nutzt und nicht unterminiert, der die UN Generalversammlung gegenüber dem Sicherheitsrat stärkt. Er ist entstanden durch eine Koalition der Willigen bestehend aus hunderten von zivilgesellschaftlichen
Organisationen und über 120 Staaten dieser Welt gegen den Willen der Mächte des UN Sicherheitsrats –allesamt Atomwaffenstaaten – und deren Verbündeten. Es ist ein Prozess gewesen der offen war und ist für eine aktive Beteiligung der Zivilgesellschaft. In Sachen Demokratie und Partizipation ein Vorbild für eine erfolgreiche Bewältigung globaler Herausforderungen. Eine wirkliche Stärkung der UN, das ist die Weltorganisation für den Frieden, die wir uns wünschen.
An dieser Stelle muss die International Campaign Against Nuclear Weapons – ICAN – erwähnt werden. Ohne ICAN wäre es nicht zu diesem Ergebnis, ja nicht einmal zu dieser Verhandlung gekommen.
Ich möchte hier auch einen Wunsch äußern: ich wünsche mir, dass der Friedensnobelpreis endlich wieder an Akteure vergeben wird, die ihn verdienen. Die weltweiten Hibakushas und ICAN haben den Preis mehr als verdient für ihre Leistungen für eine atomwaffenfreie Welt. Ich bin mir sicher, dass die beiden von vielen Organisationen für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen werden. Ich wünsche mir, dass das Nobelpreiskomitee ein Zeichen zur weiteren Ächtung von Atomwaffen setzt und den Friedensnobelpreis an die weltweiten Hibakushas und ICAN vergibt.
Die Vergabe des Friedensnobelpreises an die beiden wäre natürlich auch ein klares und wichtiges Zeichen an die internationale Staatengemeinschaft den Vertrag zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Das ist nun die große Herausforderung der Zivilgesellschaft. Der Vertrag tritt in Kraft sobald 50 Staaten den Vertrag ratifiziert haben, ab dem 20.9.2017 kann er unterzeichnet werden. Die 122 Staaten die dem Vertragstext zustimmten müssen bewogen werden den Vertrag nun auch zu zeichnen und in nationales Recht umzusetzen. Dies muss zum Teil gegen innerstaatliche Widerstände geschehen. Genauso muss Druck auf die sogenannten „nuclear umbrella states“, also die Staaten die sich unter dem sogenannten Schutz von Atommächten befinden, aufgebaut werden. Dazu gehören Deutschland und die anderen NATO-Staaten und Verbündeten. Und natürlich muss auch Druck auf Atomwaffenstaaten ausgeübt werden. Unsere KollegInnen der US, französischen und britischen Friedensbewegung sind nicht zu beneiden, scheint es doch noch unmöglich oder zumindest in sehr weiter Ferne dass Atomwaffenstaaten freiwillig auf diese Massenvernichtungswaffe verzichten.
Ich möchte jetzt nicht auf die Schwächen des Atomwaffenverbotsvertrags eingehen. Er ist keine eierlegene Wollmilchsau, sondern „the best we could get“ –der größte in wenigen Wochen verhandelte, gemeinsame Nenner von 122 UN Mitgliedsstaaten. Nur so viel in Kürze: wer den Vertrag nicht unterschreibt und ratifiziert ist auch nicht verpflichtet sich ihm zu unterwerfen. Die Atomwaffenstaaten sind außen vor. Daher wäre es so wichtig wenn umbrella states und NATO Mitgliedsstaaten den Vertrag unterzeichnen. Es wäre ein Beginn der Aufkündigung nuklearer Allianzen, zur Zersetzung der NATO-Nuklearwaffenstrategie und ein wichtiger Schritt in Richtung atomwaffenfreier Welt. Daher lasst uns den Bundestagswahlkampf nutzen und die 20 US-Atomwaffen in Büchel und ihre Modernisierung, die nukleare Teilhabe Deutschlands in der NATO und den jetzt richtigen und wichtigen Schritt der Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrags in den Mittelpunkt friedenspolitischer Diskussionen stellen. In Büchel finden momentan noch die Aktionen „20 Wochen gegen 20 Atombomben“ statt. Vom 14.-18. August sowie am 7.September finden weitere Proteste in Büchel statt.
Zu guter Letzt möchte ich auf die verantwortungslose Rolle der deutschen Bundesregierung für eine atomwaffenfreie Welt eingehen. Die Bundesregierung benimmt sich als Schoßhund der USA und folgte der oben erwähnten Aufforderung der Ständigen Vertretung der USA bei der NATO. Das Auswärtige Amt begründete im Vorfeld der Verhandlungen ihre Nichtteilnahme damit, dass 1.) durch diesen keine Atomwaffe abgeschafft würde und dass man sich 2.) nicht an Prozessen beteilige die den Atomwaffensperrvertrag (NPT) gefährden würden. Zu 1.): Seit 20 Jahren hat der NPT-Vertrag keine Atombombe abgerüstet sondern die Verhandlungen im guten Glauben auf „Null“ stehen still. Trotz NPT werden Atomwaffen modernisiert, verbessert und mit völlig neuen Fähigkeiten ausgestattet die die Gefahr eines Einsatzes erhöhen. Zu 2.): Der NPT ist – wie auch im Atomwaffenverbotsvertrag festgehalten – ein wichtiger Referenzrahmen für nukleare Abrüstung. Der Verbotsvertrag ist ein Weg den Verpflichtungen des NPT nachzukommen und keine Unterminierung oder Gefahr für das NPT-Regime. Vielmehr stellen die nukleare Teilhabe und der sogenannte „Kriegsvorbehalts“ Deutschlands und aller NATO-Staaten klare Verstöße gegen den NPT dar.1 Zum einen verzichten die NPT-Vertragsstaaten auf jede unmittelbare und mittelbare Verfügungsgewalt über Atomwaffen. Zum anderen soll der Nichtverbreitungsvertrag dann nicht mehr gelten, wenn „eine Entscheidung, Krieg zu führen, getroffen wird“ („in welchem Zeitpunkt der Vertrag nicht mehr maßgebend wäre“). Diese fast unbekannte Interpretation des NPTs lieferte der US-Außenminister Rusk vor dem Außenpolitischen Ausschuss des US-Senats am 10. Juli 1968. Diese und weitere Interpretationen wurden auch dem Deutschen Bundestag von der Bundesregierung für die Beratung des Zustimmungsgesetzes vor der Ratifizierung des NPT vorgelegt. Dies ist ungeheuerlich und die heutige Argumentation gegen eine Beteiligung am ban treaty an Scheinheiligkeit kaum zu überbieten. Eine neu gewählte deutsche Bundesregierung muss sich klar gegen die Interpretation des sogenannten „Kriegsvorbehalts“ aussprechen und dies auch von allen anderen NATO-Mitgliedsstaaten einfordern.
Ebenfalls muss eine neue Bundesregierung die Modernisierungspläne der US-Atombomben in Büchel stoppen und eine vollständige Atomwaffenfreiheit Deutschlands herstellen und für eine vollständige Atomwaffenfreiheit Europas, der EU und der Welt eintreten. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags hat den Weg hin zu einer EU-Atombombe als einen völkerrechtlich legitimen interpretiert. Dieser falschen Interpretation auf Anfrage des MdBs Roderich Kiesewetters muss ein politischer Riegel vorgeschoben werden. Wir brauchen keine EU-Atombombe sondern ein atomwaffenfreies Europa. Auch soll die Herstellung und Export von Uran welches für Atomwaffen aufbereitet werden kann eingestellt werden und ein vollkommener Ausstieg aus der Kernkraft umgesetzt werden.
Ich möchte an dieser Stelle aufhören, bevor das halbvolle Glas halbleer wird. Ein Funken Hoffnung keimt mit dem Atomwaffenverbotsvertrag. Lasst uns alle dafür arbeiten, dass aus dem Funken ein Leuchtfeuer wird. Den Opfern des nuklearen Zeitalters und allen Lebewesen dieses Planeten sind wir dies schuldig.
Ich bedanke mich für ihre Aufmerksamkeit: vielen Dank!
Lucas Wirl
Geschäftsführer IALANA, www.ialana.de
Geschäftsführer NatWiss, www.natwiss.de
1 Siehe IALANA Broschüre „Atomzeitalter beenden“, Seite 17. Einsehbar auf www.ialana.de.